IV, 11 Ersatz der Quecksilbersekretage durch unschädliche Prozeduren. 1) Von Kgl. Gewerbeinspektor Dr. Karl Heucke (Wesel). Schon auf dem letzten Kongreß für Hygiene und Demographie im September 1903 in Brüssel waren die Gefahren der Haarschneidereien und die Beseitigung dieser Gefahren der Gegenstand eingehender Beratungen. In der Debatte über diese Frage brachte damals Dejardin (Brüssel) folgenden einstimmig angenommenen Wunsch vor: Il y a lieu d'encourager des recherches en vue de substituer un procédé inoffensif ou moins nocif au sécrétage au mercure. Daß diesem Wunsche Folge geleistet wurde und daß auf dem diesjährigen Kongreß in Berlin das Thema „Ersatz der Quecksilbersekretage durch unschädliche Proceduren" mit zur Verhandlung steht, beweist, welche Wichtigkeit und Bedeutung dieser Queksilbergefahr beigemessen wird. Abgesehen von den Belästigungen der Arbeiter durch Staub und Haarteilchen, ist für die Arbeiter fast von Beginn der Haarschneiderei bis zum fertigen Hut die größte Gefahr das Quecksilber. Um dies zu erkennen, ist es erforderlich, die Arbeitsweise in den Hutstoff-Fabriken kurz zu beschreiben 2). Die zur Verwendung kommenden Kaninchen- und Hasenhaare werden zunächst sorgfältig gereinigt, sodann werden von den Fellen die längeren Haare oder Stützen und Spitzen entfernt; nun werden die Felle auf der Haarseite mit einer Lösung von salpetersaurem Quecksilber eingerieben die Felle sind in 2 Teile getrennt, in Rückenund Bauchseite Dieses Einreiben mit der Quecksilberlösung nennt man „Carrotieren", „Beizen" oder „Sekretage". Der Zweck der Sekretage ist der, das Haar zum Verfilzen geeignet zu machen. Das Auftragen der Quecksilberlösung geschieht von Haus aus mittels Bürsten. Die so mit der Quecksilberlösung getränkten Felle werden dann in Kammern getrocknet, und zwar werden je nach dem Hitzegrade, nach der Dauer der Erhitzung und nach der Stärke der Queksilberlösung „gelb" (jaune) und „weiß" (pale) gebeizte Felle unterschieden. 1) Wegen Abwesenheit der Referenten nicht zur Verhandlung gekommen. 2) Eine ausführliche Beschreibung ist in der von mir verfaßten bei Gebr. Knauer in Frankfurt a. M. erschienenen Broschüre „Die Gefahr der Quecksilbervergiftung in den Hutstoff- und Hutfabriken" enthalten. Es ist besonders darauf zu halten, daß dies Trocknen der Felle in geschlossenen Kammern geschicht und daß die Kammern nicht betreten zu werden brauchen behufs Ein- und Aushängens der Felle. Die Feuerung muß möglichst durch Dampf geschehen, wie dies bei uns in Deutschland in den besseren Fabriken auch üblich ist. Ich habe aber in Belgien Fabriken gesehen, deren Trockenkammern immer offen stehen und die durch offenes Koaksfeuer geheizt werden; die Arbeiter gehen hier zum Ein- und Aushängen der Felle ständig ein und aus und sind somit nicht nur im hohen Grade den Quecksilberdämpfen. sondern auch den Kohlenoxydgasen ausgesetzt. Außerdem dringen diese Gase und Dämpfe von hier aus in die benachbarten Arbeitsräume. Die gebeizten, getrockneten Felle werden sodann geglättet und gebürstet, sodann wird auf Schneidemaschinen das Haar von der Haut getrennt. Nun wird das Haar sortiert und auf Blasmaschinen innig gemischt und hierauf verpackt. In der Hutfabrik wird das Haar sodann auf der Fachmaschine zu einem Filz geformt und dieser Filz wird dann durch weitere Manipulationen zum fertigen Hut verarbeitet. Das Quecksilber geht mit dem Hornstoff (Keratin) der Haare eine äußerst feste, sehr schwer lösliche Verbindung ein; dies hat 1892 schon Jungfleisch in seiner Arbeit „Sur les dangers du sécrétage par le mercure" hervorgehoben und ich selbst habe dies 1900 bei meinen Untersuchungen der verschiedenen gebeizten Haarsorten und Hutfilze bestätigen können. Hieraus ist ersichtlich, daß das Quecksilber bei allen Arbeiten. am meisten bei Beginn der Arbeit, in den Haaren und Hutfilzen enthalten ist, und je mehr sich die Arbeit vom Beizen an dem fertigen Hut nähert, je geringer wird die Gefahr des Quecksilbers, da zuerst neben dem fest mit dem Keratin verbundenen Quecksilber auch noch das überschüssige Quecksilbernitrat den Haaren anhaftet und erst durch die verschiedenen Arbeitsstadien entfernt wird. Selbst in dem Haarlager ist die Luft mit Quecksilber behaftet. Seit Jahren ist man daher bestrebt gewesen, das äußerst gefährliche Quecksilber durch einen anderen unschädlichen Stoff zu ersetzen. Man hat hier die verschiedensten Versuche gemacht, aber hisher ohne Erfolg. Dr. Hillairet hat 1882 folgendes Mittel1) vorgeschlagen: „Enduire les peaux du côté du poil avec une solution de mélasse, puis laver avec une solution étendue d'acide nitrique, celui-ci se décompose et il se forme de l'acide nitreux qui amène la séparation facile des poils". Diese Methode soll ausgezeichnete Resultate ergeben haben, bietet indessen die Unannehmlichkeit, daß sie längere Zeit erfordert als die übliche, außerdem geht die Säure in Berührung mit der Luft leicht in Untersalpetersäure über, deren Dämpfe außerordentlich schädlich sind. Hiedurch wären die Beizer selbst in keiner Weise gesundheitlich besser gestellt. Mir ist auch gesagt worden, daß man den Zweck, das Haar zum 1) Des moyens propres à empêcher les accidents d'intoxication chez les ouvriers sécréteurs, par M. le Dr. E. Schoull. Annales d'hygiène publique. 3. Série. 8. Verfilzen geeignet zu machen, mit reiner Salpetersäure ohne Quecksilber ebenso gut erreiche, indessen die hieraus hergestellten Hüte haben, obschon das Haar sogar schneller verfilzt, rascher zusammengeht oder wie der technische Ausdruck lautet besser „facht" als das mit salpetersaurem Quecksilber, den Nachteil, daß die Hüte bald rauh und brüchig werden. Die mit Quecksilber behandelten Haare geben einen haltbareren, glatten und feineren Hut. Bisher sind alle Versuche, einen Ersatz für das Quecksilber zu finden, nach wie vor ohne Erfolg geblieben, ebenso wenig sind neuerdings Ersatzmittel empfohlen oder bekannt geworden. Die bisherigen Ersatzmittel haben sich, wie oben schon hervorgehoben wurde, nicht bewährt und sind nach kurzer Zeit meist unter recht großen Opfern für diejenigen, welche sich näher damit befaßten, wieder verworfen worden. Selbst ein unter dem Napoleonischen Regime in Frankreich ausgesetzter Preis von 100000 Franks für einen vollwertigen Ersatz für die Quecksilbersekretage war ohne Erfolg. Daß neuerdings keine Versuche mehr nach dieser Richtung hin stattgefunden haben, ist ein Beweis, daß diese Versuche als völlig aussichtslos betrachtet und deshalb vollständig aufgegeben worden sind. Man hat auch Versuche gemacht, um die Quecksilberdämpfe dadurch unschädlich zu machen, daß man die Queksilberdämpfe und -Gase in eine andere Verbindung überzuführen versuchte. Merget1) hat versucht, die Dämpfe in Calomel überzuführen. Boussignault hat zu demselben Zweck die Anwendung von Schwefel vorgeschlagen, um das Quecksilber in Schwefelquecksilber überzuführen. Meyer will sehr gute Resultate mit am Boden ausgebreitetem Ammoniak gemacht haben. Aber alle diese Versuche sind eben nur Versuche geblieben und haben in der Praxis keinen festen Fuß fassen können und es ist alles beim Alten geblieben. Die Gefahr der Quecksilbervergiftung bleibt demnach noch immer bestehen und man kann sein Augenmerk nur darauf richten, dieser Gefahr durch gute Einrichtungen in den Fabriken und durch Belehrung der Arbeiter vorzubeugen oder sie herabzumindern. Empfehlenswert wäre ein Merkblatt für die Arbeiter, welches in gedrängter Form auf die Gefahren und auf die durch das Quecksilber entstehenden Krankheiten hinweist, ähnlich wie dies für die Maler und Anstreicher bezüglich des Bleies geschehen ist. Ferner wäre es außerordentlich wichtig, das Verarbeiten von gebeizten Fellen, gebeizten Abfällen, Schwänzen und Lunten in der Hausindustrie gänzlich zu verbieten, ebenso darf es nicht gestattet sein, verheiratete oder schwangere Arbeiterinnen bei der Verarbeitung oder Bearbeitung von gebeizten Fellen und Haaren zu beschäftigen. Wenn in den Hasenhaarschneidereien die nachstehend aufgeführten Anforderungen beobachtet werden, so dürfte die Gefahr jedenfalls bedeutend sich verringern. Erforderlich ist es dabei, daß sowohl die Arbeitgeber, besonders aber auch die Arbeitnehmer diese Bedingungen durchführen und beachten. 1) Diese Mitteilungen macht Schoull in seiner oben angeführten Arbeit. 1. Die Beizer müssen mit Gummihandschuhen und zu deren Gebrauch veranlaßt werden; die Handschuhe müssen bis über die Handgelenke reichen. 2. Die Trockenöfen müssen so eingerichtet und so betrieben werden, daß ein ständiger Luftzug durch dieselben hindurchgeht und daß die entwickelten sauren Dämpfe nicht in die anschließenden Arbeitsräume gelangen können. Sie dürfen nur dann betreten werden, wenn dieselben gehörig gelüftet und abgekühlt sind. 3. Sämtliche Arbeitsräume, in welchen Staub oder üble Gerüche entstehen oder lose Haare umherfliegen, müssen mittelst kräftig saugender Ventilation gelüftet und die abgesaugte Luft in besondere Staubkammern geführt werden. Die Luft dieser Arbeitsräume muß mittels der Ventilatoren mindestens dreimal in jeder Stunde der Arbeitszeit erneuert werden, 4. Bei Maschinen, welche Staub erzeugen, muß durch Abschluß und Absaugen des Staubes an der Entstehungsstelle verhütet werden, daß Staub in die Arbeitsräume gelangt. 5. In den Arbeitsräumen dürfen nur so viel Personen beschäftigt werden, daß auf jede Person ein Luftraum von mindestens 12 cbm entfällt. 6. Die Räume, in denen gebeizt wird, oder in denen gebeizte Felle oder Haare bearbeitet werden, müssen täglich nach beendeter Arbeit sorgfältig gereinigt werden. 7. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, daß die in den vorbezeichneten Räumen beschäftigten Personen einen besonderen Oberanzug oder auch eine den Oberkörper deckende Schurze, sowie das Kopfhaar verdeckende Mütze tragen, und daß dieselben diese Kleidungsstücke jedesmal beim Verlassen der Arbeitsräume in einen besonderen. getrennt von den letzteren herzurichtenden Raume ablegen oder zurücklassen. In diesem Raume müssen abgesonderte Behälter zum Aufhängen der Arbeitsanzüge und der gewöhnlichen Kleidungsstücke, welche vor Beginn der Arbeit abgelegt werden, vorhanden sein. Der Umkleideraum für männliche Arbeiter muß von denjenigen für weibliche Arbeiter geschieden sein. 8. Der Arbeitgeber darf nicht gestatten, daß die Arbeiter Nahrungsmittel oder Getränke in die Arbeitsräume mitnehmen oder verzehren. Er hat dafür zu sorgen, daß das Einnehmen der Mahlzeiten nur in Räumen geschicht, welche von den Arbeitsräumen sowie von den Umkleideräumen vollständig getrennt sind. 9. Außerhalb der Arbeitsräume müssen Wascheinrichtungen und Gefäße zum Mundausspülen, ausreichend für die in den Arbeitsräumen beschäftigten Arbeiter, angebracht sein und in Ordnung gehalten werden. 10. Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, daß die Arbeiter vor dem Einnehmen der Mahlzeiten, sowie vor dem Verlassen der Fabrik sich die Hände, Gesicht, Nase, Ohren und Hals gründlich reinigen, den Mund mit Wasser ausspülen und die während der Arbeit benutzten Schutzkleider ablegen. 11. Der Arbeitgeber darf in den unter Ziffer 6 bezeichneten Räumen nur Personen zur Arbeit zulassen, welche eine Bescheinigung eines approbierten Arztes darüber beibringen,, daß sie nicht an Merkurialismus leiden und daß sie vermöge ihrer Körperbeschaffenheit der Gefahr, von dieser Krankheit befallen zu werden, nicht in besonderem Maße ausgesetzt sind. 12. Der Arbeitgeber hat die Ueberwachung des Gesundheitszustandes der von ihm beschäftigten Personen einen, dem Aufsichtsbeamten namhaft zu machenden approbierten Arzte zu übertragen, welcher vierteljährlich mindestens einmal eine Untersuchung der Arbeiter vorzunehmen und den Arbeitgeber von jedem ermittelten Falle einer Erkrankung in Kenntnis zu setzen hat. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, von jeder unter den Arbeitern vorkommenden Erkrankung an Merkurialismus, sobald er durch den Arzt oder auf andere Weise davon Kenntnis erhält, dem Aufsichtsbeamten schriftliche Anzeige zu erstatten. 13. Der Arbeitgeber ist verpflichtet zur Kontrolle über den Wechsel und Verbleib der Arbeiter ein Buch zu führen, welches Vorund Zunamen, Alter, Wohnort, Wohnung, sowie den Tag des Ein- und Austritt jedes Arbeiters enthalten muß. In dieses Kontrollbuch hat der Fabrikarzt das Ergebnis seiner Untersuchungen einzutragen. Dasselbe ist den Aufsichtsbeamten auf Verlangen vorzulegen. |